Hier gibt es einen Rückblick auf die gerade zu Ende gegangene re:publica 25. Nach dem intensiven Erlebnis beim PolyOpportunity Festival des House of Beautiful Business in Tanger gab es diesmal ein ähnliche intensives Konferenz-Erlebnis, wenn auch völlig anders vom Setup und Ablauf. Die re:publica hat an 3 Tagen über 600 Programmpunkte abgeliefert und Tausende von Menschen zusammengebracht. Und denen geht es ebenfalls um das, was mich bewegt: Digitalisierung zum Wohle von uns Menschen, mit uns im Mittelpunkt.

Ich nehme dich mit in eine teils sehr persönliche, aber vor allem inhaltlich fundierte Zusammenfassung meiner Highlights und Empfehlungen.

Ein persönlicher Kontext

Ich möchte mit dem Ausdruck tiefer Dankbarkeit beginnen. Ich bin dankbar, dass die diesjährige re:publica genau so stattfinden konnte, wie ich es mir schon lange gewünscht hatte. Mit meiner ganzen Familie. Doch zunächst einmal ein Schritt zurück für den Kontext. In den letzten fünf Jahren war ich für die Deutsche Telekom für das re:publica-Sponsoring inklusive Organisation des jeweiligen Bühnenauftritts verantwortlich. Auch meine Ehefrau war beruflich jährlich auf der re:publica. Unsere Erlebnisse sahen jedoch immer so aus, dass eine*r von uns mit dem letzten Zug von Berlin nach Hause fuhr, mitten in der Nacht ankam und der/die andere sich kurz danach auf den Weg nach Berlin machte, um selbst teilzunehmen. Wir waren niemals gemeinsam dort. Unsere jüngsten Kinder im gerade einigermaßen zweistelligen Alter waren stets neugierig, wenn die (verpassten) re:publica-Beiträge auf YouTube über den Fernseher flimmerten. Und da das diesjährige Motto „Generation XYZ“ (wir wollen uns vergewissern, dass uns mehr verbindet als trennt) lautete, hatten wir uns gedacht: Da packen wir doch noch die Generation Alpha hinzu! 🤗🤞

Und tatsächlich ist es so gekommen, dass dieses mal das Abenteuer als Familienerlebnis realisiert wurde. Inklusive unseres erwachsenen Sohnes, der im Autismus-Spektrum liegt und bei uns lebt. Er liebt es, sich in Menschenmengen zu begeben und „in der Action“ zu sein. Dabei entzieht er sich aber akustisch und bleibt ein stiller Betrachter, der immer wieder erstaunliche Beobachtungen macht und mit uns teilt. Wir sind dem Gymnasium unserer jüngsten Kinder dankbar, dass der Besuch der re:publica ohne Komplikationen als Bildungsreise mit offizieller Beurlaubung möglich war. Die Kinder danken es mit Referaten und Erlebnisberichten für die Mitschüler*innen (inklusive eines fantastischen, bildungssystemkritischen, aber konstruktiven Beitrags vom Netzlehrer Bob Blume 😉).

Und es hat alles perfekt geklappt. Unsere Tage in Berlin waren wahnsinnig erfüllend, interessant und lehrreich. Wenn du dich fragst, wie es da so aussieht und wie es sich anfühlt, hier sind ein paar schöne Eindrücke: Eindrücke Tag 1Eindrücke Tag 2Eindrücke Tag 3.

Das übergreifend hineingewobene Sentiment

Doch bei all der persönlichen Freude war da noch etwas anderes. Ein Gefühl, das sich durch noch viel mehr Beiträge zog, als ich dies aus den letzten Jahren gewohnt war. Für mich war noch nie zuvor so deutlich spürbar, wie sehr wir mitten in der Phase angekommen sind, die viele kluge Menschen in den letzten Jahren u.a. bei der re:publica vorausgesagt haben. Die Eskalation ist da.

Oft nicht als Panikmache, sondern als hilfreiche, nüchterne Diagnose: Der Ton ist rauer geworden. Die gesellschaftliche Temperatur sinkt. Der Rechtsruck greift um sich. Und überall, wo es um digitale Öffentlichkeit geht – sei es algorithmisch beschleunigte Polarisierung, die Normalisierung menschenfeindlicher Narrative oder die schleichende Machtverschiebung hin zu autokratischen bis zu faschistischen Strukturen – ist längst klar: Demokratie ohne demokratische digitale Souveränität ist nicht zu haben. Wir können und dürfen Gesellschaft nicht mehr, und nie mehr getrennt vom Digitalen denken.

Gleichzeitig wurde schmerzlich sichtbar, wie groß der Schaden ist, den die Entscheidungen der großen Plattformbetreiber bereits angerichtet haben. Teils aus Ignoranz, teils aus Kalkül. Auf deren Seite messbar in Umsatz und Profit. Auf gesellschaftlicher Seite messbar in Misstrauen, in zersetzten Diskursräumen, in verlorenen Sicherheiten, in erodierender Freiheit.

Und dennoch: Ich bin hoffnungsvoll. Denn da war auch diese andere Energie. Diese vielen klugen, interessierten, engagierten Menschen, die sich in Berlin versammelt haben. Sie haben sich vernetzt, inspiriert, aufgeschlaut. Und ich glaube, sie tragen all das jetzt weiter. Nicht (nur) in ihre Timelines. Sondern als Multiplikator*innen in ihre Teams, ihre Nachbarschaften, ihre Klassenzimmer, und sonstigen Communities. Ich wünsche mir, dass ihre, dass unsere Wirkung weiter reicht als jede Keynote.

Von einem bin ich mehr denn je überzeugt. Wir müssen unbedingt und mit aller Macht dafür sorgen, dass wir für unsere digitalen und demokratischen Diskursräume und Plattformen nicht nur von amerikanischen oder auch chinesischen Tech-Unternehmen loskommen. Sondern auch (wie Natascha Strobl es in ihrem über große Strecken bedrückenden Vortrag über Faschismus – siehe weiter unten – zum Ausdruck brachte): Wir müssen gesellschaftliche Infrastruktur wie Communities, Organisierung, Netzwerke wieder aufbauen. Und zwar fernab jeglicher ökonomischer Verwertungslogik.

Diese Newsletter-Ausgabe ist mein Versuch, einige dieser Impulse weiterzugeben. In der Hoffnung, dass sie Kreise ziehen.

(bitte bedenken: das ist nur eine kleine Auswahl von den Beiträgen, die ich gesehen habe; noch viel mehr Beiträge habe ich nicht gesehen… ich bin aber immer noch dabei, neue zu schauen – und empfehle dir, dies auch zu tun 📺 ✅)

Empfehlungen: (Hardcore) Tech-Stuff

(Opening Keynote) Generative KI und die Zukunft der Intelligenz (Björn Ommer)

Eine gute Eröffnungs-Keynote von deutschen KI-Papst (das habe ich mir ausgedacht… 😉). Ommer zeichnet das ganz große Bild → Generative KI als nächste Ermöglichungstechnologie, vergleichbar mit Elektrizität oder der Dampfmaschine. Mit all der gesellschaftlichen Wucht, die das mit sich bringt. Er plädiert mit Nachdruck für digitale Souveränität und macht klar: Wer bei dieser Technologie nicht mitgestaltet, wird fremdbestimmt.

Dabei gelingt ihm ein Spagat. Einer zwischen nüchterner Analyse technischer Entwicklungen und einem fast schon philosophischen Blick auf Intelligenz, Aufmerksamkeit und unser Menschsein im KI-Zeitalter. Kritisch wird es, wenn er auf die Monopolisierungstendenzen und die zugespitzten Machtverhältnisse schaut. Und darin sehr deutlich macht: Das Rennen um die Grundlagen der nächsten Gesellschaft ist längst im Gange. Und es wird kritischer. Ein Weckruf, der zeigt, dass es nicht (nur) um Technik geht. Sondern um Gestaltungsmacht, Gemeinwohl und unsere Fähigkeit, mit begrenzten Ressourcen klüger zu handeln als jene, die einfach nur „größer, schneller, weiter“ denken. Sehenswert!

NeuroAI: Language Representations in Humans and Machines (Fatma Deniz)

Was für ein abgefahrener Talk. Fatma Deniz gibt Einblick in eine Forschungsrichtung, die fast schon sci-fi-artig wirkt. Aber real ist. KI-Trainingsdaten werden mit Hirnreaktionen von realen Menschen abgeglichen. Um besser zu verstehen, wie Bedeutung im Gehirn repräsentiert ist. Und um Large Language Models damit sogar gezielt zu verfeinern. Wow.

Die Ergebnisse sind beeindruckend: Sprachmodelle, die mit MRT-Daten bilingualer Proband*innen feinjustiert wurden, performen anschließend besser. Sogar in Sprachen, die sie ursprünglich gar nicht „konnten“. Klingt nach Zukunft? Ist aber offensichtlich Gegenwart. Und: Die Verantwortung, die mit solchen Möglichkeiten einhergeht, ist enorm. Denn wo KI und Kognition so direkt ineinandergreifen, braucht es nicht nur Technik, sondern vor allem Ethik. Und kluge, achtsame Menschen wie Fatma Deniz.

Mind-reading AI: How new technology decodes our thoughts – and how we stay in control (Janosch Delcker)

Wenn Fatma Deniz gezeigt hat, wie sich Hirndaten nutzen lassen, um Sprachmodelle zu verbessern, dann ist dieser Talk die nächste Eskalationsstufe. Hier geht es nicht mehr um Modellabgleich, sondern um das potenziell invasive Eindringen in unser Denken.

Der Tech-Journalist Janosch Delcker schlägt einen Bogen von medizinischer Neurotechnologie über Wearables bis hin zu KI-Systemen, die unsere Gedanken lesen, oder sogar beeinflussen können. Seine These: An der Schnittstelle dieser Technologien entsteht gerade eine neue Klasse von Anwendungen, die unseren Alltag radikal verändern wird.

Das ist spannend, ohne Frage. Und zugleich extrem sensibel. Umso mehr irritierte es mich ein wenig, dass Delcker weite Strecken des Vortrags in einem recht enthusiastischen Grundton bleibt. Als wäre das alles vor allem „disruptiv spannend“. Erst gegen Ende schlägt er noch eine Ethik-Kurve. Da aber immerhin mit Nachdruck.

Wer sich in das Thema vertiefen will, dem lege ich zusätzlich die deutlich fundiertere Perspektive der Juristin und Neurowissenschaftlerin Nita A. Farahany ans Herz. Ihr Buch The Battle for Your Brain: Defending the Right to Think Freely in the Age of Neurotechnology ist Pflichtlektüre für alle, die nicht nur wissen wollen, was technologisch möglich ist – sondern auch, was davon gesellschaftlich wünschenswert ist. Denn: Gedanken sind unsere letzte Privatsphäre. Wer sie schützen will, muss jetzt anfangen, darüber zu reden. Und zu handeln.

Empfehlungen: Tech-, Plattform- und Systemkritik

Geschäftsmodell Gesellschaftsspaltung – geht es heute überhaupt noch anders? (Marc-Uwe Kling)

Pointiert, unterhaltsam und bitter ernst: Tausendsassa Marc-Uwe Kling stellt die unbequeme Frage, ob Polarisierung mittlerweile nicht nur ein gesellschaftliches Problem ist, sondern ein Geschäftsmodell. Medien, populistische Parteien, Plattformlogiken: Wer zuspitzt, spaltet, skandalisiert, gewinnt Reichweite. Und damit Geld, Stimmen oder Sichtbarkeit.

Im Talk analysiert Kling dieses Zusammenspiel mit gewohntem Witz, aber auch mit seiner aus seinen tech-kritischen Romanen bekannten analytischen Klarheit. Besonders stark ist die Selbstreflexion darüber, wie auch progressive Milieus in die Polarisierungslogik hineingezogen werden. Und die Frage, ob wir als „Gegenseite“ nicht längst Teil des Problems geworden sind. Was bleibt, ist kein sarkastischer Abgesang. Stattdessen ein Plädoyer für neue Spielregeln im öffentlichen Diskurs. Mit konkreten Vorschlägen: Verbot von ungekennzeichneten Deepfakes, neue Debattenformate jenseits der eigenen Bubble, weniger Mikado, mehr Mut zur klaren Abgrenzung. Ein wichtiger und gleichzeitig unterhaltsamer Beitrag. Und ein Aufruf, Polarisierung nicht einfach als Naturgesetz hinzunehmen.

Eine bessere digitale Welt ist trotz alledem möglich (Markus Beckedahl)

Wenn jemand weiß, wie es um unsere digitale Gesellschaft steht, dann Markus Beckedahl. Netzpolitiker, Gründer von netzpolitik.org und seit über 20 Jahren eine der wichtigsten zivilgesellschaftlichen Stimmen für digitale Grundrechte in Deutschland. Und er macht keinen Hehl daraus: Die politische Bilanz der letzten Jahre ist ernüchternd. Von netzpolitischer Inkompetenz über Abhängigkeiten von Microsoft bis hin zu neuen Überwachungsgesetzen im Tarnmantel der Sicherheit.

In diesem langen Talk belässt es Beckedahl aber nicht bei der Analyse. Er entwirft ein Gegenbild. Eines, in dem digitale Souveränität nicht bloß ein Schlagwort ist, sondern Realität. Durch Open Source, gemeinwohlorientierte Infrastrukturen, unabhängige Medienökosysteme, und eine Zivilgesellschaft, die endlich rauskommen soll aus der Blase und rein in den Diskurs.

Ich schließe mich seinem Appell und Anliegen an, die Erzählmacht nicht länger BigTech zu überlassen. Fakten allein reichen nicht. Wir brauchen Geschichten, Formate, Emotionen, die Menschen wirklich erreichen. Dafür stehe ich mit #DRANBLEIBEN.

Mit dem neu gegründeten Zentrum für Digitalrechte und Demokratie geht Beckedahl nun selbst voran: als Brückenbauer und Möglichmacher. Und als jemand, der nicht nur warnt, sondern handelt. Ein Vortrag, der deutlich macht: Die Lage ist ernst. Aber nicht hoffnungslos. Ich bin dabei. Du auch?

Einfach mal das Erbe ausschlagen – Neue Wege fürs Digitale (tante)

Der von mir sehr geschätzte Tech-Kritiker und Sociotechnologist tante liefert hier einen klugen, klaren und stellenweise sehr unterhaltsamen Vortrag über etwas, das wir viel zu selten, aber in letzter Zeit zum Glück vermehrt, hinterfragen. Nämlich die ideologischen Grundlagen unserer digitalen Welt. Im Zentrum steht dabei der Cyberlibertarismus. Das ist eine Denkweise, die Technologie für unantastbar erklärt, den Staat als Gegner sieht und individuelle Freiheit über kollektive Verantwortung stellt.

Was folgt, ist eine ebenso dichte wie zugängliche Analyse: Warum viele unserer „heiligen Kühe“ – von Open Source über digitale Rechte bis zur Transparenz – vielleicht gar nicht so neutral und fortschrittlich sind, wie wir dachten. Sondern oft durchzogen von einer libertären Logik, die Verantwortung systematisch ausklammert. tantes Vorschlag: Einfach mal das digitale Erbe ausschlagen (clevere Formulierung!). Nicht alles übernehmen, nur weil es da ist. Sondern neu denken. Und zwar mit demokratischen Werten, mit Haltung, mit Gestaltungsanspruch.

Gesellschaftliche Kipppunkte (Philipp Lorenz-Spreen)

Wir alle kennen das: Der Blick aufs Handy passiert wie von selbst. 150 Mal am Tag, sagt Philipp Lorenz-Spreen (Computational Social Scientist). Kein individuelles Problem. Sondern ein strukturelles. Denn wer unsere Aufmerksamkeit kontrolliert, beeinflusst Meinung, Macht, Demokratie.

Er macht das gut und schnell greifbar: Aufmerksamkeit zirkuliert heute schneller, kürzer, flüchtiger. Negatives verbreitet sich leichter. Polarisierung wird zur Plattformlogik. Und während wir dabei zusehen, schließt sich das Zeitfenster für eine wirksame Digitalpolitik. Aber Lorenz-Spreen bleibt nicht beim Befund. Er zeigt, wo man ansetzen kann. Und zwar ganz konkret im Kleinen. Da, wo sich entscheidet, was wir sehen, wie wir reagieren, mit wem wir sprechen.

  • Plattformdesign: Warum nicht statt Likes ein „Danke“? Warum nicht mehr Inhalte, die verbinden statt trennen?
  • Soziale Interaktionen: Wer kommt zu Wort, wer bleibt außen vor? Wenn auch die leisen Stimmen sichtbar werden, verändert sich der Ton. Und das Gesprächsklima gleich mit.
  • Individuelle Kontrolle: Tools wie One Sec helfen, Routinen zu durchbrechen. Und unsere Aufmerksamkeit wieder als das zu behandeln, was sie ist: eine begrenzte Ressource.
  • Algorithmen: Die Feed-Logik entscheidet mit, wie wir die Welt sehen. Es gibt längst Alternativen. Sie brauchen aber Raum zum Wachsen.

Sein Vorschlag: Ein europäisches Digitalprojekt. Ambitionsniveau CERN. Nicht kleinteilige Regulierung, sondern ein echter Gegenentwurf. Getragen von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Das Fenster dafür? Seiner Meinung nach noch offen. Aber es schließe sich.

Machtfaktor Social Media (Chan-jo Jun, Jessica Flint)

Was für ein Auftritt. Zwei Jurist*innen… und was sie auf die Bühne bringen, ist fast schon elegantes Schauspiel. Tempo, Witz, Timing. Und dabei geht es um nichts Geringeres als die Frage: Wer schützt unsere Demokratie vor den destruktiven Kräften sozialer Medien?

Chan-jo Jun und Jessica Flint führen durch ein Jahrzehnt juristischer Kämpfe gegen Desinformation, Hassrede und algorithmisch verstärkte Demokratiezersetzung. Und machen dabei klar: Die großen Tech-Plattformen spielen auf Zeit, ignorieren Gesetze oder unterlaufen sie systematisch. Besonders stark: Der Reality-Check zur Wirkungslosigkeit von Regulierungen wie NetzDG oder DSA. Und die klare Ansage, dass Verantwortung nicht länger bei Einzelpersonen hängen bleiben darf, sondern bei den Plattformen und beim Staat. Und ja: Die beiden liefern auch konkrete Vorschläge. Von echter Durchsetzung bestehender Gesetze bis hin zu mutigen Ideen wie der Anwendung von Grundrechten auf Plattformlogiken. Ein Talk, der zeigt, wie lebendig und eindrucksvoll juristische Aufklärung sein kann. Wenn sie Haltung hat, Humor und den Mut, Dinge beim Namen zu nennen. Sehr sehenswert!

Paris Marx – Reject US Tech. Embrace Digital Sovereignty.

Ich schätze Paris Marx sehr. Und kann dir nur wärmstens den Podcast Tech Won’t Save Us empfehlen. Ein Ort, an dem regelmäßig der Finger tief in die Wunde gelegt wird, die Big Tech in unser gesellschaftliches Gewebe gerissen hat.

Auch auf der Bühne der re:publica bringt Paris diese Energie mit: ruhig, analytisch, fundiert. Paris zeigt, wie eng Silicon Valley seit Jahrzehnten mit geopolitischen Machtprojekten der USA verflochten ist. Und warum digitale Technologien nie neutral waren, sondern von Beginn an Werkzeuge zur globalen Machtsicherung. Besonders eindrücklich: die historische Rückschau auf die Kommerzialisierung des Internets in den 90ern, die Rolle der Tech-Milliardäre in der Trump-Ära, und ihre neuen Allianzen mit autoritären Regierungen weltweit.

Die Botschaft: Europa muss raus aus dieser Abhängigkeit. Es braucht digitale Souveränität. Und zwar nicht als Buzzword, sondern als reale Infrastruktur. Möglichst öffentlich finanziert, demokratisch gestaltet, gemeinwohlorientiert. Ein starker Talk, der deutlich macht: Wer das Digitale den Falschen überlässt, bekommt nicht Fortschritt, sondern Fremdbestimmung.

Empfehlungen: Gesellschaftliche Verwerfungen, Rechtsrutsch, Autokratie, Faschismus

Vernetzte Gewalt. Analyse und Gegenwehr (Bernhard Pörksen)

Bernhard Pörksen gehört für mich jedes Jahr zu den Highlights der re:publica. Rhetorisch brillant, analytisch auf den Punkt. Und immer in der Lage, auch schwere Themen zugänglich und klug zu rahmen. Würde ich nochmal studieren, es wäre Medienwissenschaft in Tübingen. Bei ihm.

In seinem diesjährigen Talk analysiert Pörksen, was er „vernetzte Gewalt“ nennt: die Eskalationslogik eines digitalen Kommunikationssystems, das aus kleinen Anstößen große Empörungswellen macht. Vom Hobby-Post zur globalen Demütigung ist es oft nur ein Klick. Besonders stark: seine vier Diagnosen, wie sich digitale Gewalt durch neue Verbreitungsdynamiken, Tools, Opferlogiken und Manipulationsmöglichkeiten verstärkt. Dabei bleibt er nicht beim Befund. Er formuliert konkrete Gegenstrategien: mehr Bildung, die wirklich trägt. Regulierung, die ernst gemeint ist. Und institutionelle Selbstfürsorge, die den Einzelnen nicht allein lässt.

Zum Schluss – mit einem Augenzwinkern, aber ganz ernst gemeint – sein „kategorischer Imperativ fürs digitale Zeitalter“:

Handle so, dass dir die öffentlichen Effekte deines Handelns langfristig vertretbar erscheinen. Aber rechne damit, dass das nichts nützt.

Ein Vortrag, der definitiv bei mir nachhallt. Und dem ich jede Minute aufmerksam zugehört habe.

USA Update – Trumps Angriff auf die Demokratie (Annika Brockschmidt)

Annika Brockschmidt gehört für mich zu den klügsten und wichtigsten Stimmen, wenn es um die Analyse der amerikanischen Rechten geht – und um strukturelle Ungerechtigkeit, etwa im Kontext von Patriarchat und religiösem Machtmissbrauch. Ihre Podcasts Kreuz & Flagge sowie Feminist Shelf Control habe ich im #DRANBLEIBEN Newsletter schon mehrfach empfohlen. Und tue es auch hier wieder gerne. 😊

Ihr Talk ist ein schonungsloses Update zur politischen Lage in den USA unter der zweiten Trump-Regierung. Brockschmidt beschreibt präzise, wie sich die verschiedenen Fraktionen der amerikanischen Rechten – von der religiösen Rechten über ethnonationalistische „America First“-Vertreter bis hin zur autoritären Tech-Elite – zu einer radikalen, intern zwar zerklüfteten, aber hoch wirksamen Koalition formiert haben. Besonders eindrücklich: die Analyse des „weißen christlichen Nationalismus“ als ideologischem Kitt dieser Bewegung. Mit einem klar hierarchischen, oft gewaltbereiten Weltbild, in dem nicht-weiße, queere oder feministische Stimmen systematisch entrechtet werden.

Brockschmidt gelingt es, Struktur in das scheinbare Chaos zu bringen. Und gleichzeitig deutlich zu machen, wie ernst die Lage ist. Ihr Appell: Wir müssen die Entwicklungen nicht nur beobachten, sondern endlich auch beim Namen nennen. Mit historischer Klarheit und politischer Konsequenz. (Wenn du sehen möchtest, wie man sowas in den Sand setzt, dann schaue dir z.B. die Tagesschau vo 30.5.25 an und wie dort vom Ausscheiden Elon Musks aus DOGE berichtet wird. Bei sowas frage ich mich, ob es eine Verharmlosungsagenda in der Redaktion gibt, oder ob es pure Naivität ist. Unfassbar aus meiner Sicht.)

Unterschätze niemals die Macht der Verdrängung! (Katharina Nocun)

Ab hier wird’s düster. Traurig, bedrückend… aber auch notwendig. Katharina Nocun, Publizistin im Spannungsfeld Digitalisierung und Demokratie hält einen Vortrag, der einem den Boden unter den Füßen kurz wegsägt. Und der genau deshalb so wichtig ist. Noch tiefer wird’s danach nur noch mit Natascha Strobls „Tough Stuff“-Analyse über postmodernen Faschismus (siehe unten); bevor wir dann wenigstens nochmal kurz durchschnaufen dürfen mit einem heiteren Beitrag.

Nocun erzählt keine neuen Horrorgeschichten. Sie zeigt, wie die alten weiter eskalieren: Drohungen gegen Richter*innen, Einschüchterung von Wissenschaftler*innen, Normalisierung rechter Narrative in Talkshows, Wahlprogrammen, Institutionen. Ihr Punkt: Wir verdrängen. Als Gesellschaft, als Einzelne. Und dass das durchaus verständlich sei. Aber gefährlich.

Besonders stark ist ihr Blick auf die vermeintlich „harmlose Zeit davor“. Die vielen kleinen Verschiebungen, die man nicht als Bruch erkennt, sondern erst rückblickend als Kippmoment. Ihr Appell: Reden. Erinnern. Handeln. Nicht irgendwann, nicht vielleicht. Sondern jetzt. Mit Spenden, mit Solidarität, mit Struktur. Und auch mit Gummistiefeln im Schlamm. Ein Vortrag, der trifft. Und der deutlich macht: Demokratie verteidigt sich nicht von selbst.

Vom Schwarzhemd zu TikTok. Postmoderner Faschismus (Natascha Strobl)

Wenn Katharina Nocun uns bereits den Ernst der Lage vor Augen geführt hat, dann treibt Natascha Strobl – österreichische Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtsextremismus und die Neue Rechte – das Gefühl der Beklemmung noch weiter. Ihr Vortrag mir eine Stunde lang einen Kloß im Hals versetzt. Er ist analytisch messerscharf, aber emotional kaum auszuhalten.

Strobl spricht über Faschismus im 21. Jahrhundert. Nicht als historisches Relikt, sondern als reale, hochaktuelle Bedrohung. Sie erklärt, wie sich die Ideologie wandelt, wie sich Gewalt digitalisiert, wie Eliten sich neu formieren. Und warum es gefährlich ist, Faschismus immer nur mit braunen Uniformen von gestern zu bebildern. Dabei seziert sie die Grundlagen: von palingenetischem Ultranationalismus über selektive Gewaltlogiken bis hin zur Rolle von Verschwörungserzählungen, Traditionalismus und digitalem Neofeudalismus. Sie liefert damit leider keine historische Rückschau, sondern eine präzise Zustandsbeschreibung unserer Gegenwart.

Und doch, auf der allerletzten Folie, ist da ein Lichtstreif. Strobl erinnert daran, dass Solidarität kein leeres Wort ist. Sondern etwas ist, das tief in uns verankert sei. Dass wir keine Einzelkämpfer sind, sondern kooperierende Wesen. Und dass wir genau da ansetzen müssen: bei der Rückeroberung gesellschaftlicher Infrastruktur, bei Netzwerken jenseits der Verwertungslogik, bei echtem Miteinander. Und daran glaube ich. Und dafür setze ich mich ein.

Empfehlung: Einfach nur schön

Poesie gegen Populismus: Nebenschauplätze unserer Diskussionskultur (Sarah Bosetti)

Sarah Bosetti ist Autorin, Satirikerin und Moderatorin. Und spätestens seit ihrer gerade mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten ZDF-Sendung Bosetti Late Night eine der klügsten, witzigsten und scharfzüngigsten Stimmen im politischen Feuilleton. Ich empfehle ihre Arbeit immer wieder gern. Und dieser Auftritt auf der re:publica war ein Paradebeispiel, warum.

Mit analytischer Leichtigkeit und poetischer Schlagkraft legt sie frei, wie unsere Diskussionskultur auf Nebenschauplätze abdriftet. Und wie Populismus genau davon lebt. Sie spricht über Klimadebatten, die sich in der Protestform verlieren. Über soziale Gerechtigkeit, die mit Neid-Vorwürfen abgewehrt wird. Und über eine Gesellschaft, die sich lieber über Symbole aufregt als über strukturelle Ungleichheit. Was bei anderen leicht belehrend wirkt, gelingt Bosetti mit Humor, Klarheit und Timing. Sie entlarvt ohne zu entmenschlichen. Und sie bringt die Absurditäten unserer Debattenlage so elegant auf den Punkt, dass man zuerst lacht. Und dann kurz still wird. Sie liefert hier etwas ab, das gleichzeitig erhebt und ernüchtert. Und sie zeigt, dass Haltung, Analyse und Leichtigkeit keine Gegensätze sein müssen.

Weitere wertvolle Beiträge

Jemand fehlt noch. Maja Göpel. Sie hat ebenfalls einen tollen Vortrag gehalten. Leider ist der zum jetzigen Zeitpunkt (Abend des 31.5.) noch nicht online. Schau selbst mal nach in den nächsten Tagen. Es lohnt sich. Hier ein Teaser:

Ein Störgefühl zum Schluss

Broligarchy – When Founders Became Kings: A Former Tech Bro Speaks Out (Aya Jaff)

(Video des Vortrags zum VÖ-Zeitpunkt dieser Ausgabe leider noch nicht verfügbar)

Es war der Vortrag, der bei mir das größte Störgefühl hinterließ. Aya Jaff, längst gefeierte Speakerin aus der Tech-Szene, spricht über Macht, Männlichkeit und Märkte in Tech. Über Gründer, die zu Königen wurden. Über ein System, das sich selbst als progressiv begreift. Und dabei doch alte Machtmuster reproduziere. Sie spricht über die „Broligarchy“.

Die Analyse? Treffend. Die Fragen? Wichtig. Die Botschaft? Richtig. Und dennoch: Etwas passt für mich nicht zusammen. Denn Aya Jaff war selbst Teil dieser Welt. Und zwar ein lauter. Gefeiert als Tech-Wunderkind, Poster-Child, programmiert, gepitcht, publiziert. Ihr Buch Moneymakers (2020) und ihre Statements der letzten Jahre waren ein leidenschaftliches Plädoyer für das, was sie heute kritisiert: Finanzoptimismus, Startup-Mythos, Glaube an Skalierung und ewigen Tech-Fortschritt. Hyperloop, Draper University, Börsenspiel mit Zukunft. Ihr damaliges Narrativ: Wer versteht, wie der Markt funktioniert, kann ihn auch für sich nutzen.

Heute: Systemkritik. Reflexion. Machtanalyse. Ein Auszug aus ihrem Profil bei ihrer Speaker-Agentur:

Aktuell beschäftigt sich Aya intensiv mit systemischer Kritik an Wirtschaftssystemen und Impact-Entrepreneurship. Sie beleuchtet moralische Dilemmata innerhalb des Kapitalismus und entwickelt alternative Geschäftsmodelle, die nicht nur profitabel sind, sondern auch einen gesellschaftlichen Mehrwert bieten.

Aus ihrem re:publica Speaker*innen-Profil:

[…] ihr demnächst erscheinendes Buch „Broligarchy“ konfrontiert die Tech-Elite mit schonungsloser Kritik.

Natürlich: Menschen dürfen und sollten sich verändern. Und es ist fantastisch, wenn sie es zum Besseren tun. Niemand ist verpflichtet, ewig in denselben Kategorien zu denken. Im Gegenteil: Entwicklung in eine reflektierte, gute Richtung ist wertvoll. Gerade in einem Feld, das so viel Einfluss auf unsere Gesellschaft hat.

Aber ihr Bruch wirkt auf mich weniger durchlebt als kuratiert. Es war für mich ein glattpolierter, geschliffener Vortrag, der mir stellenweise wie ein „Fishing-for-Applause“-Moment nach dem anderen vorkam. Aber ohne den Tiefgang und die Leidenschaft, die mich berührt hätten (und genau solche Momente habe ich in anderen Talks erlebt, z.B. hierhierhier). Es fehlte mir: die Seele. Vielleicht hätte ich diesen Talk anders wahrgenommen, wenn die Brücke ihrer Veränderung von früher zu heute spürbarer gewesen wäre. Wenn der Zweifel authentisch hörbar geworden wäre. Die Reue. Oder zumindest: die eigene Verstrickung.

Mit alldem und rückblickend auf ihre Vergangenheit schlich sich in mich das Gefühl ein, dass die jetzt zur Schau gestellte Haltung ein Branding-Pivot sein könnte, der gesellschaftlich und in aktuellen Debatten anschlussfähig ist. Vielleicht täusche ich mich. Vielleicht liegt mein Gefühl daneben. Ich hoffe es sogar.

Zum Schluss: Hoffnung behalten. Räume gestalten.

Die re:publica 2025 hat mir wieder einmal gezeigt: Die Welt da draußen wird nicht besser, wenn wir nur auf sie warten. Aber sie verändert sich… und zwar durch Menschen, die denken, sprechen, streiten, gestalten.

Was ich von diesen drei Tagen mitnehme, ist mehr als Erkenntnis. Es ist vor allem auch Energie. Nicht weil alles gut wäre. Ganz und gar nicht. Das müsste aus (leider zu) vielen meiner Empfehlungen hervorgehen. Aber weil so viele kluge, leidenschaftliche Menschen da waren, die zeigen: Wir sind nicht ohnmächtig. Wir sind viele.

Ganz persönlich macht mich dieses Mal besonders glücklich, wie offen und neugierig meine Jungs das Event aufgenommen haben. Ich war ehrlich gesagt überrascht, wie aufmerksam sie bei vielen Talks waren. Und wie reflektiert sie danach über Inhalte gesprochen haben, die komplex, unbequem und alles andere als oberflächlich sind. Vielleicht ist das schon der beste Beweis dafür, dass wir diese Räume brauchen. Und dass vor allem auch die Jugend in diese Räume einbezogen werden muss.

Und vielleicht beginnt alles damit, dass wir aufhören zu verdrängen. Und stattdessen anfangen, uns einzumischen. Ich möchte gerne helfen, dass wir die digitalen Räume, in denen wir leben, wieder zu unseren machen. Dass wir uns die Geschichten erzählen, die uns und andere stark machen. Und dass wir dafür sorgen, dass das Hoffen nicht naiv ist, sondern widerständig.